virtuelle Realität: Nicht nur zur Unterhaltung

virtuelle Realität: Nicht nur zur Unterhaltung
virtuelle Realität: Nicht nur zur Unterhaltung
 
Schon heute fällt es manchen Menschen schwer, die reale Welt von der virtuellen Welt zu unterscheiden. Ist das, was das Fernsehen zeigt, wirklich? Wo liegen die Grenzen zwischen »künstlicher« und »natürlicher« Welt? Die Technik von morgen versucht, erlebte oder fiktive Realität zu simulieren und reproduzierbar zu machen. Künstliche Welten können viele Gesichter haben: Neuartige Unterhaltungsmedien spiegeln dem Benutzer fremde Welten vor, Architekten bewegen sich in Gebäuden, die erst noch gebaut werden müssen. Künstliche Intelligenzen sollen die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine erleichtern. In der gesamten Entwicklung künftiger Informations- und Kommunikationstechnik sind virtuelle Welten sicherlich das spannendste Thema — gleichzeitig fallen in diesem Bereich seriöse Prognosen am schwersten.
 
 Wenn Computer »mitdenken«
 
Technische Entwicklungen wie Spracherkennung oder das Scannen und Auswerten von Gestik und Mimik des Benutzers zeigen, dass Computer lernen können, menschliche Eigenschaften nachzuahmen. Ziel ist, diese Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine noch weiter auszubauen. Schon heute bieten US-amerikanische Hersteller elektronische Bücher an — tragbare Rechner, deren Display einzelne Buchseiten abbilden. Der Leser lädt sich den Text seiner Wunschlektüre per Internet auf das virtuelle Buch und kann darin beliebig hin- und herblättern. Allerdings stoßen diese Geräte bislang noch auf wenig Begeisterung, weil nach Meinung der meisten Befragten zum Erlebnis »Lesen« auch der haptische Umgang mit dem Medium Buch und Papier gehört. Doch schon arbeiten Forscher am »intelligenten Papier«: Ultradünne Displayfolien sollen sich genauso anfühlen wie konventionelles Papier. Diese Entwicklung führt künftig vielleicht zu ganz neuen »elektronischen Büchern« — und spart zumindest Papier.
 
Ohnehin sollen Rechner zunehmend haptische Eindrücke vermitteln. Erste Produkte in dieser Richtung sind schon heute erhältlich: Etwa Spielesteuerknüppel (Joysticks), die einen Gegendruck zur Bewegung des Spielers bewirken, wie ihn auch ein Flugzeugsteuerknüppel erzeugt oder das Lenkrad eines Autorennspiels vermittelt. Auch eine ähnlich konstruierte Computermaus reagiert auf den Menschen — und vermittelt ihm beim Ziehen von Fenstern über den Bildschirm ein größeres »Gewicht« als bei freier Bewegung ohne das Ziehen von Elementen. Stößt der Mauszeiger am Bildschirmrand an, blockiert die »Feedbackmaus«.
 
Brillen mit eingebautem Computerdisplay vermitteln ihren Benutzern schon heute einen anderen Blickwinkel. Bereits um das Jahr 2010 rechnen die Entwickler damit, ein hochauflösendes Rechnerdisplay in eine Brille integrieren zu können, die sich in Größe und Gewicht nicht mehr von heutigen Standardgestellen unterscheidet. Selbst in Kontaktlinsen lassen sich dann Displays integrieren. Dank der technischen Entwicklungen beim 3-D-Fernsehen können diese Brillen und Linsen später auch dreidimensionale Bilder projizieren. Und miniaturisierte, zielgerichtete Lautsprecher im Brillenbügel oder in einem Ohrring werden Ton und Musik zuliefern können. Wird darüber hinaus Force-Feedback-Technik in die komplette Bekleidung integriert, kann sie Sinneseindrücke am ganzen Körper vermitteln. Damit schafft die Technik bis zum Jahr 2020 die Grundlage, um Menschen — auf Wunsch — in eine völlig künstliche, simulierte Realität zu versetzen.
 
 Reales Vergnügen mit virtuellen Techniken
 
Diese »virtuellen Welten« nutzt vor allem die Unterhaltungsindustrie. Dreidimensionale virtuelle Szenarien könnten eine besondere Variante von Spielfilmen hervorbringen — vielleicht handelt es sich dabei eher um virtuelle Theaterstücke, die auch den Zuschauer mit einbeziehen, als um klassische Spielfilme. Die »virtuelle Touristik« wird es erlauben, binnen weniger Augenblicke zu einem fernen Wunschort zu reisen.
 
Auch in Kommunikation und Bildung wird die künstliche Realität einziehen: Weit voneinander entfernte Kommunikationspartner treffen sich in virtuellen Räumen. Virtuelle Klassenzimmer, Vorlesungen und Seminare helfen bei Fort- und Weiterbildung. In der virtuellen Kunst lassen sich Objekte aus der realen Welt wie Skulpturen, die in Wirklichkeit in einem Museum am anderen Ende der Erde stehen, ausgiebig zu Hause studieren — wobei Anfassen in diesem Fall ausdrücklich erlaubt ist.
 
Ebenso können sich Abenteurer in Fantasiewelten auf waghalsige Unternehmen einlassen, ohne dabei Gefahr zu laufen, physischen Schaden zu nehmen. Ganz bestimmt wird eine entsprechend leistungsfähige Technik auch das Erlebnis von virtuellem Sex anbieten. Räumlich getrennte Partner können so virtuellen körperlichen Kontakt haben. Von der Gelegenheit, dabei an seinem virtuellen Ich körperliche Korrekturen vorzunehmen, ist der Schritt zum körperlichen Erlebnis mit völlig virtuellen Traumpartnern nicht mehr groß. Generell umstritten bleibt jedoch, wie das Publikum auf die neuen virtuellen Welten reagieren wird. Meinungsforscher gehen davon aus, dass für viele Menschen das »reale Erlebnis« selbst bei perfekter Simulation trotzdem erstrebenswerter bleibt. Wahrscheinlich werden die virtuellen Reisen und Erlebnisse einen ähnlichen Stellenwert erhalten wie heutiges Fast Food — man konsumiert es gern, wenn es schnell gehen soll, zieht aber doch ein gutes Gericht in einem anspruchsvollen Restaurant vor.
 
 Moderne Hilfe im Haushalt
 
Roboter, die einfache Arbeiten im Haushalt übernehmen, werden schon in wenigen Jahren als Konsumprodukt erhältlich sein. Im Jahr 2000 soll ein »Roboterstaubsauger« auf den Markt kommen, der sich motorgetrieben auf Rollen systematisch durch die gesamte Wohnung bewegt. Da er zum Aufladen seiner Batterien von Zeit zu Zeit selbstständig zu einer Ladestation zurückkehrt, kann er sogar nahezu beliebig lang ohne Aufsicht arbeiten. Prallt er gegen ein Hindernis, ändert er seine Richtung. Vor dem Abstürzen an hohen Absätzen schützen ihn mehrere Sensoren.
 
In Japans Regalen finden Eltern bereits einen Roboterhund zum Spielen, der das Verhalten eines realen Vierbeiners simuliert. Weitere kybernetische Spielgefährten und Haushaltshilfen werden folgen — wenngleich diese Maschinen zumeist keine der Natur nachempfundene Körperform haben werden, sondern auf ihren jeweiligen Einsatzzweck optimiert sind.
 
Direkt profitieren kann der Mensch von der Kybernetik und Nanotechnologie im Bereich der Medizin. Die Erkenntnissse aus der Entwicklung von Robotern lassen sich sehr gut einsetzen bei der Konstruktion von Prothesen. Das künstliche Bein wird sich so bewegen lassen wie das natürliche. Zudem sollen in einigen Jahren durchtrennte Nervenbahnen durch Chipimplantate wieder zusammengefügt werden können — mit dieser Technik wird es dann zum Beispiel möglich sein, Querschnittslähmung zu heilen.
 
Einige Visionäre gehen so weit, dass sie die Entwicklung von Neuroimplantaten erwarten, mit denen Menschen die Leistungsfähigkeit ihrer Wahrnehmung oder die Denkleistung ihres Gehirns verbessern können. Doch die ethische Komponente macht eine Prognose solcher Entwicklungen schwer. Sicher werden Forscher — legal oder illegal — in weiterer Zukunft mit solchen Techniken experimentieren. Genauso sicher dürfte es dann aber auch zu Pannen bei der Anwendung solcher Techniken kommen — mit vermutlich überaus unerfreulichen Folgen für die »early Adopters« solcher Produkte.
 
 Wenn Androiden intelligent werden
 
Schon heute ist häufig von »künstlicher Intelligenz« die Rede, obwohl selbst neuronale Netze nur parallelisierte Algorithmen abarbeiten. Noch ist die Denkmaschine Computer vollkommen abhängig von ihrer Programmierung.
 
Allerdings lassen sich selbst mit den heute verfügbaren Techniken bereits beeindruckende Resultate realisieren: Expertensysteme etwa in der Medizin unterstützen den Menschen durch gezieltes Abfragen von Entscheidungskriterien bei der Diagnostik. Sogar selbstlernende Systeme sind bereits im Einsatz, die Ergebnisse aus früheren Entscheidungs- und Lösungsprozessen speichern und künftig bei der Ermittlung der richtigen Antwort berücksichtigen können. Einige selbstlernende Systeme arbeiten nach der Methode »Trial and Error« was so viel bedeutet wie »Versuchen, und aus den dabei gemachten Fehlern lernen«. Sie erkennen falsche Lösungen und wiederholen den Ablauf der Entscheidungsfindung so lange, bis sie eine richtige Antwort ermittelt haben. Bei solchen algorithmischen Abläufen sind Computer dem Menschen vor allem an Geschwindigkeit überlegen.
 
Dennoch diskutiert die Fachwelt schon seit langem darüber, ob Computer bei stetig steigender Rechenleistung und neuen Konstruktionsprinzipien überhaupt jemals »Intelligenz« oder gar »Bewusstsein« entwickeln können. Wird es in Zukunft möglich sein, das menschliche Gehirn auf der Basis künftiger Computertechniken zu simulieren und nachzubauen? Wird es tatsächlich Androiden geben, die irgendwann zwangsweise »automatisch« ein menschenähnliches Bewusstsein entwickeln? Kann und wird die Computertechnik eines Tages eine sich selbst reflektierende Maschine hervorbringen? Entscheidend für die Beantwortung dieser Fragen ist die Definition von Intelligenz und Bewusstsein.
 
Hier sind Erkenntnisse aus Philosophie und Religion gefragt: Ist eine Maschine, die sich ihrer Existenz bewusst ist, »menschlich»? Oder gibt es doch einen prinzipiellen, niemals technisch zu überwindenden Unterschied zwischen dem sich selbst bewussten menschlichen Gehirn und einem Computer? Führt ein auf atomarer Ebene identischer Nachbau eines menschlichen Gehirns automatisch zur Entstehung von Bewusstsein oder nicht? Die Antworten auf diese Fragen gehen so weit auseinander wie die Meinungen und Überzeugungen der befragten Experten. Eindeutig beantworten kann sie bei heutigem Wissensstand keiner.
 
Die dargestellten Prognosen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen — von sehr wahrscheinlichen Fortschreibungen heutiger Produkte und Technologien bis hin zu eher spekulativen Überlegungen. Bestimmt werden wir in den kommenden Jahrzehnten verschiedene Paradigmenwechsel erleben. Dabei scheinen einige solche Umbrüche schon heute sehr wahrscheinlich, etwa die Virtualisierung der Kommunikation. Zudem wird sich die Medienrezeption ändern, indem jedermann fast uneingeschränkt auf Informationen zugreifen kann. Blicken Medienforscher in zwanzig Jahren auf heutige Prognosen zurück, werden sie feststellen, dass sich einige der heutigen Utopien nicht realisiert haben und sich in der ursprünglich erwarteten Weise vermutlich auch in Zukunft nicht mehr manifestieren werden. Andere Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik werden gewiss weit über gegenwärtige Prognosen hinausgehen.
 
Die grundsätzliche Richtung und die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Informations- und Computertechnik in den kommenden Jahrzehnten lassen sich mit einiger Gewissheit einschätzen. Dennoch bleibt gerade auf diesem in hoher Geschwindigkeit voranschreitenden Gebiet die Entwicklung spannend und bietet noch manche Überraschungen.
 
Dipl.-Ing. (FH) Hannes Rügheimer
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Computertechnik im modernen Alltag
 
 
Crevier, Daniel: Eine schöne neue Welt? Die aufregende Geschichte der künstlichen Intelligenz. Aus dem Englischen. Düsseldorf u. a. 1994.
 
Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert. Gestaltung des Wandels und Aufbruch in die Zukunft, herausgegeben von Hans-Jörg Bullinger. Stuttgart 1997.
 Gates, Bill: Der Weg nach vorn. Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München 1997.
 Kaku, Michio: Zukunftsvisionen. Wie Wissenschaft und Technik des 21. Jahrhunderts unser Leben revolutionieren. Aus dem Amerikanischen. München 1998.
 Mitchell, William J.: City of bits. Leben in der Stadt des 21. Jahrhunderts. Aus dem Englischen. Basel u. a. 1996.
 Negroponte, Nicholas: Total digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder die Zukunft der Kommunikation. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München 1997.
 Popcorn, Faith/Marigold, Lys: »Clicking«. Der neue Popcorn-Report. Trends für unsere Zukunft. Von clanning bis zu cyberpools. Neue Ideen für das Jahr 2000. Aus dem Amerikanischen. Taschenbuchausgabe München 1997.
 Rempeters, Georg: Die Technikdroge des 21. Jahrhunderts. Virtuelle Welten im Computer. Frankfurt am Main 1994.

Universal-Lexikon. 2012.

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